Text - Giosuè Boetto Cohen
Lange vor computergestütztem Design und 3D-Druck wurden von Handwerkern mit viel Geduld aus Holz und Stahlblech maßstabsgetreue Prototypen neuer Ferrari-Modelle gebaut. Eine Arbeit, die viel Präzision verlangte ... und Liebe
In den 1950er und 60er Jahren wurden alle Prototypen auf dem Papier geboren – egal, ob es sich um One-Off-Modelle oder Serienwagen handelte. Die ersten Skizzen – von den maßstabsgetreuen Zeichnungen (in der Regel mit einem Maßstab von 1:10) bis hin zu jenen in Lebensgröße – entstanden alle auf einem leeren, blassrosafarbenen Blatt Papier, das so aussah und sich so anfühlte wie das Material, in das die Metzger damals ihre Steaks einwickelten.
So nahm der Entwurf der Designer, der sogenannte piano di forma, Gestalt an: eine 1:1-Vorlage zum Bau der Karosserie, welche den Grundstein eines jeden Projekts bildete und eine zweidimensionale Vorstellung des Autos lieferte.
Als nächstes folgte der Bau eines 3D-Holzmodells. Hochqualifizierte Arbeiter fertigten alle nötigen Holzteile nach den Entwürfen an. Dazu fixierte man die Papierentwürfe mit Nadeln auf Massivholz, wodurch ein Muster aus kleinen Löchern entstand, das dann ausgeschnitten wurde. Die verschiedenen Teile des Autos wurden dann zusammengesteckt, um die „Skulptur“ zu schaffen. Hohlräume füllte man mit Holzblöcken und Harz.
Nach einem Monat Arbeit war das Holzmodell, der sogenannte Mascherone, fertig. Sucht man das Wort mascherone in einem Wörterbuch, erfährt man kurioserweise, dass damit im Italienischen eigentlich Masken (noch dazu groteske Fratzenköpfe) bezeichnet werden. Und doch waren jene Mascheroni für die Karosseriebauer mehrere Jahrzehnte lang ein einzigartiges und unschätzbar wertvolles Arbeitswerkzeug, um ein neues Auto zum ersten Mal dreidimensional erscheinen zu lassen. Ein Moment der Wahrheit, wenn man so will.
Das 1:1-Modell bekam einen Ehrenplatz im Zentrum der Werkstatt und wurde von Zeit zu Zeit nachbearbeitet, indem Teile ergänzt oder herausgeschnitten wurden. Der Battilastra, der Mann, dessen Aufgabe es war, das Blech für die Karosserie zu formen, kam und ging, legte Kotflügel und Türen am Modell an und nahm winzige Anpassungen von Hand oder mit einem Hammer vor, bis schließlich die Haut aus Aluminium oder Stahl perfekt passte.
Im Fall von One-off-Prototypen oder Showcars war dem Mascherone nur ein kurzes Leben bestimmt. Manchmal wurde auch nur ein unvollständiger Mascherone gebaut oder es wurden nur die komplexesten Elemente ausgestaltet.
War hingegen eine von Hand gebaute Kleinserie geplant, erforderte dies die Realisierung eines kompletten Modells, das zudem an den Außenkanten, die dem größten Verschleiß ausgesetzt waren, mit Stahl verstärkt werden musste. Dieser Prozess führte zum Bau eines mit Stahl verkleideten Manichino, welchen die Karosseriebauer mit ihren Hämmern besser bearbeiten konnten. Das Wort manichino, Schneiderpuppe, stammt aus dem Schneiderjargon und bezeichnet dort das lebensgroße Modell des menschlichen Oberkörpers aus gepolsterten Holz, mit dessen Hilfe ein Schneider bewerten kann, „wie ein Anzug fällt“.
Leider hat es kaum ein Modell bis in unsere Zeit geschafft. In der Regel fielen sie Verschleiß zum Opfer oder wurden als Brennholz im Ofen verbrannt, da der Platz in den Werkstätten kostbar war und damals niemand daran dachte, Zeugnisse für die Nachwelt zu hinterlassen.
Paolo Martin und Piero Stroppa haben die Blütezeit der Mascheroni bei Michelotti, Bertone und Pininfarina in Italien erlebt und uns beim Aufschreiben dieser Geschichte geholfen. Beide waren zu ihrer Zeit als hochtalentierte Designer und Modellbauer bekannt und zeichnen sich auch heute noch durch außerordentliches Geschick und große Erfahrung aus. Noch vor wenigen Jahren fertigte Martin einen 1:1-Prototyp aus Holz für einen fiktiven Bugatti. Auch Stroppa ist ein vielbeschäftigter Mann. „Die Erinnerungen bedeuten mir sehr viel“, erklärt der Designer, der von 1970 bis 1974 für Pininfarina gearbeitet hat, „und für mich macht es keinen Sinn, ein Fan von Oldtimern zu sein, ohne zu wissen, wie sie auf die Welt gekommen sind.“
Er hat sich ganz der Aufgabe verschrieben, die Designmethoden jener goldenen Ära der Handwerkskunst durch Zeichnungen, Modelle und sogar Karikaturen sichtbar zu machen. Seine neueste Kreation – etwas, das jeder von uns gerne haben würde – ist der atemberaubende Mascherone des bezaubernden Dino 206 GT im Maßstab 1:10, der von Aldo Brovarone für Pininfarina entworfen wurde. Der delikate Schaffensprozess kann in der Bildergalerie oben bewundert werden und heute wie damals würde man das, was man sieht, mehr als Kunst denn als Industrie bezeichnen.
Es bleibt uns nur, diesem Mascherone ein langes Leben zu wünschen!