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Innere Schönheit

Sechzig Jahre nach dem ersten Rennsieg für einen Ferrari-Sportwagen mit Mittelmotor beschreitet das allererste PHEV der Marke mit einem innovativen Chassis wieder einmal neue Wege. Zeit für den SF90 Stradale – und die Experten der ‚Body-in-White‘ -Abteilung von Maranello – sich zu verneigen
Text – Richard Bremner
Er ist schön anzusehen, aber interessanterweise ist ein Großteil des Wesens dieses faszinierend modernen Autos von außen nicht sichtbar.
Unter der Motorhaube befinden sich natürlich der neue 4,0-Liter-Achtzylinder-Mittelmotor und drei Elektromotoren, die zusammen 1000 PS generieren, aber es gibt noch eine weitere verborgene Innovation... ‚Das ist der beste Bauteil im Auto.

Einfach wunderschön, wie eine Skulptur‘, erklärt Andrea Baldini, Leiter der Abteilung, bekannt als ‚Body-in-White‘, Fachjargon für eine unlackierte Rohkarosserie. Voller Ehrfurcht spricht er über die Carbonfaser, die tief in der Karosseriestruktur des SF90 verankert ist, eine Premiere für ein Serienauto von Ferrari.

‚Es ist ein Einstückguss zwischen den Stoßdämpfern, der das Getriebe stützen soll. Man kann es nur auf einem nackten Chassis sehen.‘
Das ist nur eine weitere bahnbrechende Facette des SF90 Stradale, des Straßenautos mit der größten Technikdichte, das Ferrari je hergestellt hat. ‚In diesem Wagen sind über 1000 Komponenten mehr als im F8 Tributo verbaut, aber er hat die gleiche Länge und den gleichen Radstand‘, so Davide Abate, Head of Technologies.

Die Rohkarosserie des SF90 Stradale ist die erste einer neuen Spaceframe-Familie. Mit der Zeit werden sich drei Ferrari ein paar Elemente der modularen Hardware des SF90 Stradale teilen, obwohl dieses Modell das komplexeste des Trios ist. Zu diesem Zweck ‚nutzt die Karosserie neue Materialien, um die Leistung auf das Maximum zu bringen‘, erklärt Abate.

Mehrere Carbonfaser-Panchette warten auf die Montage im Mittelmotor-Chassis aus Mischmaterialien Bildnachweis: Mattia Balsamini

Die größten Neuheiten in der Struktur des SF90 Stradale befinden sich unter und hinter seinen Sitzen. Der Batteriepack ist in einem Aluminiumgehäuse unter den Insassen angebracht, gleich dahinter befindet sich eine Struktur, die als Panchetta bekannt ist, ein äußerst stabiler Querträger, der einen Teil der Trennwand zwischen Kabine und Motorraum bildet. Sowohl dieser Querträger als auch die Trennwand bestehen aus Carbonfaser.

‚Es ist das erste Mal, dass wir Carbonfaser bei der Karosserie eines Ferrari Serienautos verwenden‘, so Baldini. ‚Das spart vier Kilogramm im Vergleich zu einem Aluminiumteil‘ und bietet eine immense Festigkeit im Falle eines Seitenaufpralls.

Nachdem die Aluminiumkarosserie in der berühmten Carozzeria Scaglietti hergestellt wurde, kommt sie in die Produktionslinie nach Maranello, wo die Carbonfaser-Panchetta im Ferrari SF90 Stradale eingebaut wird Bildnachweis: Mattia Balsamini

Es sind jedoch hart erkämpfte vier Kilogramm. Denn obwohl die Carbonfaser-Abteilung in Maranello untergebracht ist, wird die Rohkarosserie größtenteils beim berühmten Karosseriebauer Scaglietti in der nahe gelegenen Stadt Modena angefertigt. ‚Es ist eine große Herausforderung, dieses Carbonteil zu montieren, da es eingebaut wird, nachdem die Karosserie die Kataphorese schon hinter sich hat‘, so Baldini.

Der Einbau ist komplex, wie Andrea Antichi, Head of Assembly, erklärt: ‚Es wird automatisch Strukturkleber auf jedes einzelne Auto aufgetragen. Die Carbonfaserplatte wird dann mit Schrauben gesichert, die jeweils auf ein bestimmtes Drehmoment angezogen werden.‘ Die Schrauben werden von Hand eingeschraubt und dann nicht nur auf das richtige Drehmoment überprüft, sondern auch auf den Winkel, in dem sie in die Löcher eindringen.

‚Bei der Montage eines Ferrari gibt es zwei Hauptmerkmale‘, so Baldini. ‚Die Handfertigung ist mit unserer Identität verbunden. Und es gibt sehr hohe technische Standards, die wiederholbar sein müssen.‘

Nach dem Einkleben und Montieren in die Rohkarosserie wird die Panchetta mit Schrauben fixiert, die nach genauen Spezifikationen angezogen werden Bildnachweis: Mattia Balsamini

Vielleicht am kunstvollsten kommt der manuelle Ansatz in der Carrozzeria Scaglietti zum Ausdruck, bevor die Aluminium-Rohkarosserie des SF90 für seine Verschmelzung mit Carbon nach Maranello kommt. Hier suchen die Techniker nach Unvollkommenheiten, indem sie mit der bloßen Hand des Experten über die Metalloberfläche streichen. In den seltenen Fällen, in denen eine Korrektur erforderlich ist, greifen sie auf herkömmliche manuelle Werkzeuge zurück. Dennoch ist die Befestigung der Aluminiumplatten untereinander ein Hightech-Prozess.

‚Wir verwenden Kaltverbindungslösungen anstelle von Schweißen für die Festigkeit. Der SF90 Stradale weist nicht weniger als 420 dieser Nietklebeverbindungen auf, das sind über 50 Prozent mehr als beim F8 Tributo‘, erklärt Abate. Dazu kommen etwa 30 Meter Schweißnähte, um eine Karosserie herzustellen, die 40 Prozent mehr Verwindungssteifigkeit und 30 Prozent mehr Biegesteifigkeit aufweist als der F8, was ihn zum Ferrari-Serienfahrzeug mit der steifsten Karosserie macht.

Diese Innovationen sorgen zusammen mit der Carbonfaser-Panchetta dafür, dass sechzig Jahre nach dem Sieg des ersten Ferrari-Sportwagen mit Mittelmotor bei der Targa Florio die Schönheit noch immer tief gründet.
08 giugno, 2021