Die Weiterentwicklung des 275 GTB4 war ein Meilenstein in der Geschichte der Hochleistungssportwagen mit Frontmotor. Geschmeidig und modern hatte Pininfarina die Karosserie gestaltet, welche die 4,4 Liter des V12-Triebwerks komplementierten. Der Motor wurde von sechs Weber Doppelvergasern mit 40 mm versorgt. Die hervorragende Gewichtsverteilung und das daraus folgende einzigartige Fahrerlebnis war dem Transaxle-Aufbau zu verdanken. Viele Fans kennen diesen Wagen vornehmlich unter seinem inoffiziellen Namen: “Daytona”.
Der 365 GTB4 Berlinetta löste den 275 GTB4 ab und debütierte auf der Automobilmesse in Paris im Herbst des Jahres 1968. Der Wagen wurde beinahe umgehend als “Daytona” bekannt, obwohl dies ein nicht offizieller Titel war, der ihm von den Journalisten seiner Zeit verliehen wurde. Vermutlich ist der Name auf den 1-2-3 Sieg von Ferrari bei den 24 Stunden von Daytona im Jahr 1967 zurückzuführen. Der inoffizielle Name blieb dem Wagen erhalten und wird auch heute noch genutzt.
Es handelte sich um den letzten neuen 12-Zylinder Ferrari bevor Fiat im Jahr 1969 die Kontrolle über die Straßenwagenproduktion übernahm. 40 Prozent des Aktienkapitals gingen in den Besitz Fiats über, gefolgt von weiteren 49 Prozent nach dem Tode von Enzo Ferrari an. Es war aber auch der letzte Ferrari 12-Zylinder, der, bis ins Jahr 1984 als der Testarossa angekündigt wurde, neu in den USA verkauft werden sollte (durch offizielle Händler). Dies war sowohl auf die hohen Kosten als auch die geringen Mengen zurückzuführen, die mit den Wagen, die den strengen gesetzlichen Auflagen entsprachen, einhergingen.
Frühe Prototypen hatten eine Frontpartie, die auf der des auslaufenden 275 GTB4 basierte. Das Design war jedoch wesentlich radikaler und keilförmiger. Hinter einem die gesamte Front einfassenden Plexiglas-Streifen saßen die doppelten Scheinwerfer, wobei an den Seiten direkt daneben die Seiten/Blinklichter lagen.
Im Jahr 1971 wurde diese Anordnung durch ein einfahrbares System abgelöst, da neue Gesetze in den USA Scheinwerfer hinter einer Abdeckung nicht mehr zuließen. Dieses Modell wurde von Grund auf neu entworfen, um den US-Vorschriften zu entsprechen, da die Absatzzahlen in den USA eine große Rolle spielten. Man hatte auch mit einer Variante mit offenen Scheinwerfern gespielt, was jedoch die klare Form der Frontpartie durcheinander brachte. Mit der einfahrbaren Variante konnte man das Original-Profil beibehalten (bis auf dann, wenn die Lichter ausgefahren waren).
Der 365 GTB4 hatte ein noch aggressiveres Auftreten als sein Vorgänger dank seiner beinahe haifischähnlichen Nase und den beiden großen Luftauslässen auf der Motorhaube und der weit zurückversetzten Fahrerkabine, die direkt in das Kamm-Heck überging. Am Heck befanden sich zwei runde Rückleuchteinheiten über den kleinen Stoßstangenenden.
Das Design stammte von Pininfarina und die Karosserie wurde von Scaglietti gefertigt. Bis auf die Türen, die Motorhaube und den Kofferraumdeckel aus Aluminium, war alles aus Stahl. Spätere Wagen für den US-Markt hatten auch Stahltüren und Stahlstreben. Auch dies wurde aufgrund neuer Gesetzesvorschriften eingeführt. Die Fahrerkabine war ein so genanntes 5-Fenster-Design mit einer großen gebogenen Windschutzscheibe und einer beinahe flachen Heckscheibe. Die Karosserie verfügte über eine halbkreisförmige Einbuchtung, die um den Wagen auf halber Höhe herumlief. Diese war ein Designfeature, das an späteren 2+2-Modellen und in anderer Form an zukünftigen Mittelmotormodellen aufgegriffen werden sollte. Fast ein Jahr nach seiner Präsentation kam auch eine Spider-Version auf den Markt: der 365 GTS4 wurde im Jahr 1969 auf der Frankfurter IAA präsentiert. Diese Version war der geschlossenen Variante dieses Wagens von der Gürtellinie ab vollkommen identisch. Die Wagen unterschieden sich lediglich durch das Faltdach und das Profil des Kofferraums.
Die Spider-Version war extrem populär, vor allem in den USA. Hier wurden rund zehn Prozent der gefertigten 365 GTB4 Modelle abgesetzt. Zahlreichen Berlinettas wurde seitdem das Dach abgetrennt, um einen Spider zu kreieren. Dies war besonders Ende der 80 Jahre populär. Beide Varianten wurden bis 1973 nach den Standards der Vorgängermodelle gefertigt. Insgesamt wurden 1.284 Berlinettas und 122 Spider produziert. Auf der Automobilmesse in Paris des Jahres 1969 wurde ein “Speciale” Coupé Einzelstück, Chassisnumer 14547, von Pininfarina gezeigt. Dieses Modell hatte einen Stahlüberrollbügel und ein ausfahrbares Heckfenster, wobei der Dachbereich eine feste Platte war.
Die Karosserien waren auf einem Fahrgestell mit einem Radstand von 2.400 mm und der Werksbezeichnung 605 montiert. Alle hatten ungerade Straßenwagennummerierungen. Gefertigt wurde der Wagen auf denselben Straßen wie die anderen Wagen dieses Zeitraums: große ovale Hauptrohre; Querverstrebungen; Unterbauten für die Zusatzausrüstung. Das Modell gab es links- und rechtsgesteuert. Die Fünfspeichen-Sternfelgen hatten einen Spinner, während die US-Ausführungen aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine große zentrale Nabe hatten. Borrani-Speichenfelgen waren als Sonderausstattung erhältlich.
Das Triebwerk mit seinem vergrößerten Hubraum und einen längeren Block und stammte vom V12-Motor mit doppelten obenliegenden Nockenwellen des 275 GTB4 ab. Es trug die Werksbezeichnung 251 und verfügte über einen Hubraum von 4.390 ccm mit Bohrung und Hub von 81 respektive 71 mm mit Trockensumpfschmierung. Sechs Weber 40 DCN20 oder 21 Doppelvergaser waren montiert. Die Version für den US-Markt trug den Zusatz “A”. Mit Doppelspule und hinter dem Motor montiertem Zünd-Verteiler-System (einem elektronisch gesteuerten für den US-Markt) leistete der Wagen 352 PS.
Die Wagen für den US-Markt waren mit einigen anderen Vorrichtungen ausgestattet, um die Abgase zu kontrollieren. So unter anderem mit einer Leerlaufanhebung und einem Abgaskrümmer-Lufteinlasssystem. Eine Schwungradkupplung war integriert, während die Antriebskraft an die Hinterachse übertragen wurde, wo sich ein 5-Gang-Transaxle-Getriebe, ähnlich dem des 275 GTB4 befand. Von hier wurde die Kraft dann auf die einzeln aufgehängten Hinterräder weitergegeben, wobei diese über Querlenker, Schraubenfedern und hydraulische Stoßdämpfer verfügten.
Abgesehen von den Standardstraßenwagen gab es drei Serien von Motorsportmodellen für Kunden, die in der “Assistenza Clienti” Abteilung in Modena gefertigt wurden sowie das frühere Einzelstück mit Aluminiumkarosserie für Luigi Chinettis North American Racing Team. Die erste Serie von fünf Exemplaren für den Renneinsatz, gefertigt im Jahr 1971, hatten Aluminiumkarosserien. Sie hatten leicht ausgestellte Radkästen und breitere Reifen, aerodynamische „Gitter“ an den Frontflügeln, einen kleineren Kinnspoiler und keine Stoßstangen. Die zweite Serie, die Anfang 1972 gefertigt wurde, hatte Stahlkarosserien mit Motorhaube, Kofferraumdeckel und Türen aus Aluminium wie die Straßenwagen, jedoch wesentlich weitere Radkästen, um die noch breiteren Reifen unterzubringen. Die dritte Serie, die Anfang 1973 gefertigt wurde, war der zweiten Serie sehr ähnlich, hatte jedoch Kofferraumdeckel und Motorhaube aus Aluminium.
Die Wagen waren mit für Rennstandards sorgfältig eingestellten Motoren ausgestattet. Einige Leistungsdetails wurden durch die Homologation besonderer Teile während des Fertigungszeitraums verstärkt.
Diese Exemplare waren in der GT-Kategorie sehr erfolgreich. Dies war nicht nur auf ihre hohe Leistung sondern auch auf die Zuverlässigkeit in Langstreckenrennen zurückzuführen. Bei den 24 Stunden von Le Mans im Jahre 1972 holte der Wagen sich die ersten fünf Positionen in seiner Klasse und wiederholte den Klassensieg in den Jahren 1973 und 1974. Noch im Jahr 1979 konnte dieses Modell mit einem zweiten Rang in der Gesamtwertung bei den 24 Stunden von Daytona überzeugen. Ein großartiges Ergebnis für einen Wagen, dessen Produktion sechs Jahre zuvor eingestellt worden war.
Am 30. September 1971 testete das britische Fachmagazin „Autocar“ den Wagen und maß eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 5,4 Sekunden, eine Beschleunigung von 0 auf 160 km/h in 12,6 Sekunden, eine Beschleunigung aus dem Stand über eine Viertel Meile in 13,4 Sekunden mit einer Endgeschwindigkeit von 167 km/h sowie eine Höchstgeschwindigkeit von 280 km/h. Diese Werte blieben über mehrere Jahre als Rekorde stehen. Im November 1974 testete das US-Magazin „Road & Track“ eine Rennversion und maß eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 5,8 Sekunden, von 0 auf 160 in 12,6 Sekunden, eine Beschleunigung aus dem Stand über eine Viertel Meile in 14,5 Sekunden mit einer Endgeschwindigkeit von 173 km/h und eine Höchstgeschwindigkeit von 299 km/h. Diese Werte unterschieden sich nicht zu sehr von denen, die das britische Fachmagazin gemessen hatte. Schnellere Rundenzeiten erzielte der Wagen später jedoch durch eine straffere Aufhängung, breitere Reifen und Rennreifen auf der Version für den Renneinsatz. Die Werte zeigen jedoch auch, was für eine außergewöhnliche Leistung die Straßenversion hatte.