Von jenseits der Mauer hört man das typische Dröhnen eines Formel 1-Autos, das Gasgeben und das abrupte Bremsen. Aber hier ist kein Formel 1-Auto. Und dennoch blickt der Pilot, der in seinem Carbon-Cockpit hinter der neuesten Version des Ferrari-Lenkrads mit voll funktionsfähigen Bedienelementen sitzt, durch das Visier seines Helms auf die Rennstrecke des kommenden Grand Prix. Er sieht die Bäume neben der Strecke, die Tribünen, sogar die Werbebanner.
Inmitten der virtuellen Realität des Simulators, in einer riesigen schwarzen „Spinne“, die alle über vierzig frappierend an das LEM-Landemodul erinnert, kann sich unser Fahrer - in diesem Fall Kimi Räikkönen - auf jede Phase seines nächsten Rennens vorbereiten: Start, Kurven, Bremsen. Oder er kann einen neuen Flügel, ein neues Fahrwerk, „absegnen“ und unglaublich realitätsnahe Fahreindrücke sammeln, die er dann mit seinen Technikern teilt. Dave Greenwood, der ihn auf der Strecke verfolgt, sitzt hinter der Scheibe, in einem langen und schmalen Raum mit Blick auf die „Spinne“. Auch sein Fahrzeugtechniker, Carlo Santi, und die Simulatorspezialisten sind hier.
Die Bildschirme ähneln jenen für die Telemetrie in den Boxen, die Daten sind praktisch gleich. „Der Simulator“ - erklärt Performance Engineer Daniele Casanova - „wurde dafür entwickelt, um den Fahrer zu „täuschen“. Er soll das Gefühl haben, dass er tatsächlich hinter dem Lenkrad eines Rennwagens sitzt.“ Ein Konzept, das sich deutlich von den Videospielen unterscheidet: Nicht nur, weil nur ein Fahrzeug auf der Strecke ist, sondern weil Spezialeffekte hier überhaupt keine Bedeutung haben. Hier geht es darum, dass die Daten, die auf den verschiedenen Strecken gesammelt wurden, möglichst originalgetreu wiedergegeben werden.
Aber die Präzision von Bildern und Daten würde alleine nicht ausreichen: Ein Simulator beschäftigt sich auch mit dem menschlichen Gehirn, mit der Fähigkeit, Bilder zu behalten, z.B. die Illusion einer Bewegung zu erleben. Das passiert beispielsweise, wenn man in einem stehenden Zug sitzt und sich der Zug auf dem Nebengleis in Bewegung setzt. Ohne diese Kniffe wäre es unmöglich, bestimmte Fahrgefühle zu reproduzieren: Für die Simulation der Querbeschleunigung in Kurve 3 in Montmelò, die den Fahrer auf die linke Seite „drückt“, müssten beispielsweise die hydraulischen Arme der Spinne um Hunderte von Metern verlängert werden. Aber der Simulator ist eine lebendige Maschine, die ständig aktualisiert wird, die den Metallkörper mit einer stets aktuellen Software-Seele koppelt.
Da heute die Tests auf der Strecke auf ein absolutes Minimum begrenzt sind, hat die virtuelle Realität selbst die skeptischsten Fahrer überzeugt. Die Leute im Werk in Maranello arbeiten mit demselben Stolz, mit derselben Leidenschaft wie diejenigen, die das Auto auf der Strecke voranbringen. Am Ende eines langen Arbeitstages wird Kimi fast noch müder sein, als nach ebenso vielen Stunden Fahrt auf der Strecke. Vielleicht nicht körperlich, weil es - wie gesagt - unmöglich ist, alle physischen Beanspruchungen einer Kurve mit 4G Querbeschleunigung nachzuahmen. Aber müde, weil sein Gehirn, um in die simulierte Realität einzutauchen, Eindrücke und Anweisungen aufgenommen hat, die dann, im wirklichen Leben, in ein einziges Wort übersetzt werden: Leistung.