Vor 60 Jahren errang ein Ferrari 246 SP den ersten großen Sieg für ein Mittelmotor-Modell des Cavallino Rampante. Jetzt kehren wir an den Ort dieses Sieges – die kurvenreiche Rennstrecke der Targa Florio auf Sizilien – in einem modernen Mittelmotor-Ferrari, dem F8 Spider, zurück
Jeder Berührungspunkt verstärkt die Empfindungen. Das Ansprechverhalten des Gaspedals, die Reaktion der Schaltwippen bei jedem Schaltvorgang und die Unmittelbarkeit der Lenkung, die die Nase des Wagens in jede Kurve taucht. Und wenn das einfahrbare Hardtop fein säuberlich unter dem Heckdeckel verstaut ist – ein Verpackungswunder, das durch den tiefer gelegten Achtzylindermotor ermöglicht wird –, dringen die Ansaug- und Auspuffgeräusche direkt an unsere Ohren.
Doch während jeder Moment im F8 Spider einen solchen Adrenalinschub auslösen kann, kommen bei der heutigen Fahrt ganz besondere Emotionen auf. Wir befinden uns auf der italienischen Insel Sizilien, auf einer der berüchtigten Bergstraßen der Targa Florio und wandeln auf den Spuren eines berühmten Ferrari-Sieges vor 60 Jahren.
Auf denselben Straßen, auf denen der erste Ferrari-Sportwagen mit Mittelmotor Rennen fuhr – und gewann –, ist der F8 Spider ein einzigartiger Begleiter, um ein entscheidendes Kapitel der Firmengeschichte Revue passieren zu lassen
Hier schickte Ferrari am 30. April 1961 zwei Versionen seines neuen Sportwagens 246 SP ins Rennen. Der Motor wurde zusammen mit dem neuen F1-Wagen der Scuderia für diese Saison entwickelt und war erstmals hinter dem Fahrer platziert – eine bedeutende Zäsur für Ferrari und auch für Enzo selbst, der in traditioneller Manier das Pferd vor den Wagen gespannt hatte.
Aber die Neuerung brachte sofortige Ergebnisse. In jenem Jahr dominierte der neue 156 die Formel 1, die Fahrer der Scuderia belegten die ersten beiden Plätze in der Meisterschaft, auch in der Herstellerwertung lag das Team vorne. Und auf Sizilien brillierte der neue Sportwagen.
Er war gut ausbalanciert und leicht, mit einer Aluminiumkarosserie, die sein Gewicht auf weniger als 600 kg senkte. Zusammen mit einem leistungsstarken V6 und aerodynamischen Innovationen wie der ‚Haifischnase‘ (die auch das F1-Auto aufwies) sowie einem Heckspoiler war er ein kompakter, schneller und wendiger Rennwagen.
Einer der beiden 246 SP konnte nach einem Unfall nicht einmal die erste Runde beenden, aber der andere – gelenkt von Wolfgang von Trips und Olivier Gendebien – lieferte sich ein ganzes Rennen lang ein Duell mit Porsche und Fahrern wie Stirling Moss, Dan Gurney und dem späteren zweifachen F1-Champion Graham Hill.
Während des siebenstündigen Rennens sollten sich die Teamkollegen Moss und Hill als härteste Gegner erweisen, doch beim Duell um die schnellste Runde blieb der Wagen von Moss 7 km vor dem Ziel mit einem Getriebeschaden stehen. Mit dem Ziel vor Augen ließ von Trips nicht locker und stellte einen weiteren Rundenrekord auf, als er über die Ziellinie fuhr. Der nächste Gegner kam mit mehr als vier Minuten Rückstand ins Ziel.
Der sofortige Erfolg des 246 SP sollte Ferrari sowohl auf der Rennstrecke als auch auf der Straße in den nächsten Jahrzehnten beeinflussen. Weitere Modelle und Rennsiege folgten, 1967 brachte das Unternehmen sein erstes Mittelmotor-Straßenauto, den Dino 206 GT, auf den Markt, 1969 folgte der 12-Zylinder 365 GT4 BB. Doch es war der 308 GTB von 1975, mit dem Ferrari eine ununterbrochene Linie von Sportwagen mit V8-Mittelmotor begründete, die bis zum F8 von heute führt.
Olivier Gendebien (im weißen Rennoverall) fährt im Ferrari 246 SP, nachdem er seinem Teamkollegen Wolfgang von Trips (sitzend) zum Sieg beim Straßenrennen Targa Florio 1961 gratuliert hat
Die Strecke der Targa Florio, die 1961 gefahren wurde, besteht aus einer endlosen Reihe von Kurven, und an den Straßen hat sich in den letzten sechs Jahrzehnten kaum etwas geändert: Sie sind schmal, schlecht asphaltiert, mit einer Kurve nach der anderen, ein ständiges Auf und Ab über die Hügel und schließlich hoch in die Gebirgskette der Madonie. Doch unser Ferrari schafft das spielend.
Auf dem rissigen Asphalt sorgen die Steifigkeit des Fahrwerks und die Contenance der Federung für Komfort und Kontrolle. Die Richtungswechsel sind flink und rasant, die Balance ist tadellos mit den beweglichen Metallteilen, welche 720 PS erzeugen, die zwischen den Achsen und hinter dem Fahrer konzentriert sind. Die ständigen Kurven animieren zu einem tänzelnden Hin und Her zwischen der Unmittelbarkeit der Bremsen und der sofortigen Kraft eines Motors ohne Turboloch. Ein Motor, der mit einem scheinbar nicht enden wollenden Schub immer weiter vorwärts drängt, sobald man ihn von der Leine lässt.
Heute ist unser Tempo etwas langsamer als das von Gendebien und von Trips. Das deutsch-belgische Duo mochte die 72-km-Schleife schon zehnmal absolviert haben, dennoch fiel der Rundenrekord immer weiter. Während sie sich gänzlich auf die Straße konzentrieren und stets darauf aus waren, die Kurven auszureizen und die schnellste Linie zu finden, nehmen wir uns Zeit und saugen alles in uns auf.
Dank der breiten Windschutzscheibe legt sich der F8 Spider selbstbewusst in die Kurven, das offene Dach flutet die Kabine mit der Wärme der Sonne und dem Geruch der sanften Hügel, und unser Tempo wechselt zwischen behäbig und rasant. Ab und zu rollen wir gemächlich durch ein historisches Städtchen auf einer Hügelspitze, beim Anblick des gelben Ferraris drehen sich viele um. Dann wieder drücken wir aufs Tempo und nutzen die Power und die Selbstsicherheit des F8 Spider, auf Straßen, die sich durch die wunderschöne, üppige Landschaft schlängeln.
Eine nicht enden wollende Folge von Kurven, die sich durch den Gebirgszug der Madonie auf Sizilien schlängelten, bildete die 72 km langen Runden der Targa-Florio-Strecke von 1961. Heute haben sich die Straßen kaum verändert und sorgen für ebenso viel Fahrspaß
Die Ferrari-Fahrer haben an jenem letzten Apriltag des Jahres 1961 wohl tausende Male geschaltet und sich den Weg durch ein Feld von über 50 langsameren Autos gebahnt. Aufatmen konnten sie erst, als von Trips in die Boxengasse fuhr und Gendebien an Bord sprang, um ihm zu gratulieren.
Dank der hochmodernen Fahrdynamikregelung, die Motor, Fahrwerk und Aerodynamik nahtlos integriert, ist unsere Zeit hinter dem Lenkrad weit weniger anstrengend. Doch hier auf diesen geschichtsträchtigen Straßen und am Steuer eines offenen Mittelmotor-Ferraris ist es ein ganz besonderes Erlebnis.
Was hier vor 60 Jahren begann, geht weiter...