Ein Journalist erinnert sich an den Pariser Autosalon 2002, wo eines der kühnsten technischen Meisterwerke enthüllt werden sollte, die Maranello je hervorgebracht hat
Vor einundzwanzig Jahren (ist das wirklich schon so lange her?) hat Ferrari den größten technischen Sprung in seiner geschichtsträchtigen Supercar-Geschichte präsentiert. Um genau zu sein, zeigte der neue Ferrari Enzo etliche technische Sprünge – man beachte den Plural.
Als Journalist, der an jenem ersten Pressetag Ende September über den Pariser Autosalon 2002 berichtete, hatte ich separate Interviews mit Ferrari-Spezialisten für fortschrittliche Materialien (vor allem den wegweisenden Einsatz von Carbonfaser und Wabenkonstruktion), Aerodynamik (das fortschrittlichste Konzept aller bis dahin verkauften Straßenautos), Antriebsstrang (hier wurde Ferraris neuester V12 und eine neue superschnelle Schaltwippe eingeführt) sowie innovative neue Carbon-Keramik-Scheibenbremsen eingeplant. Ich glaube nicht, dass ich einem anderen neuen Auto jemals mehr Zeit bei einer Automobilausstellung gewidmet habe.
Als der Enzo auf dem Pariser Messestand von Ferrari vorgestellt wurde, haben nur wenige Autos für mehr Aufsehen gesorgt. Es lag nicht an der Schönheit oder Anmut des Autos: In meinen Augen gab es viele schönere Ferraris. (Andere sind vielleicht anderer Meinung.) Vielmehr lag es daran, dass das Auto so spektakulär aussah. Es war ein beeindruckendes Beispiel für Technologie und Funktionalität. Was ihm an stilistischer Poesie vielleicht gefehlt hat, wurde durch ein charismatisches Design, das der Leistung schamlos Priorität einräumte, mehr als wettgemacht. Es ging genauso um Zahlen wie um Gefühl; Wissenschaft genauso wie Sinnlichkeit; Technik mehr als Stil. Nie zuvor (oder danach) wurde ein Straßen-Ferrari so stark von seiner Funktion beeinflusst.
Der Enzo wurde als technisches Meisterstück konzipiert und sollte eine der modernsten Technologien für superschnelle Autos demonstrieren, die Ferrari, Meister der Technik, in einem limitierten Supercar mit Straßenzulassung demonstrieren konnte. (Nur 399 Exemplare waren geplant: ein 400. sollte folgen und wurde dem Vatikan für wohltätige Zwecke gespendet.) Es überrascht nicht, dass ein Großteil der Technologie aus der Formel 1, dem Nährboden für so viele Ferrari-Straßeninnovationen, stammt.
Zu den weiteren bemerkenswerten Merkmalen gehört der Name des Autos: Der einzige Ferrari, der nach dem Firmengründer benannt ist.
Der Enzo wurde primär im Windkanal entworfen und, wie bei einem Formel-1-Auto, sah man ihm das auch an. Eckig, kantig und mit auffälligen Einlässen und Lufttrichtern zur Steuerung des Luftstroms ausgestattet, war er eindeutig von modernen F1-Ferraris beeinflusst, die Michael Schumacher und die Scuderia damals verlässlich zum Sieg der Weltmeisterschaft führten.
Er lieferte einen rekordverdächtigen Abtrieb für ein Straßenauto, was sich positiv auf die Bremsleistung und die Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten auswirkte. Seine fortschrittliche aktive Aerodynamik (in der Formel 1 verboten) umfasste verstellbare Klappen am Karosserieboden und einen diskreten, automatisch betätigten Heckspoiler. Wie bei einem Formel-1-Auto fand ein Großteil der aerodynamischen Magie unter dem Auto statt und sorgte für ein noch nie dagewesenes Maß an ‚Bodeneffekten‘, darunter ein großer Heckdiffusor.
Ich hatte das Glück, kurz nach seiner Enthüllung einen Enzo fahren zu dürfen. Sein Abtrieb und seine aerodynamische Raffinesse machten sich bei hoher Geschwindigkeit bemerkbar. Hier war ein Auto, das einen tatsächlich mit der Straße in Kontakt brachte, wie es noch kein Supercar zuvor getan hatte. Er war ein würdiger Nachfolger wunderbarer limitierter Supercars wie 288 GTO, F40 und F50 – aber technisch anspruchsvoller.
Das zeigte sich sehr deutlich in seiner Konstruktion. Die 288 GTO, F40 und F50 leisteten Pionierarbeit beim Einsatz fortschrittlicher Verbundwerkstoffe: Der F40 hatte eine Karosserie aus Carbon und Kevlar, und der F50 ein Carbonfaser-Monocoque im F1-Stil. Aber der Enzo hat das Ganze in puncto Leichtigkeit, Steifigkeit und Festigkeit auf eine neue Stufe gestellt. (Ich erinnere mich noch daran, dass der Ferrari-Ingenieur geradezu vor Stolz platzte, als er mir auf dem Pariser Salon die hochmoderne F1-Standard-Carbonfaser des Enzo erklärte.) Das Trockengewicht betrug nur 1255 kg, was für ein leistungsstarkes (660 PS) V12-Supercar erstaunlich leicht ist.
Der neue V12 war der stärkste Saugmotor der Welt. Der F140 treibt heute alle V12-Ferraris an und ist nach wie vor Ferraris ikonischster moderner Antriebsstrang. Ein neues automatisiertes Sechsgang-Schaltgetriebe ermöglichte blitzschnelle Schaltzeiten von nur 150 Millisekunden – vor 21 Jahren erstaunlich schnell.
Die Bremsleistung war phänomenal. Es war der erste Straßen-Ferrari, der Carbon-Keramik-Bremsen verwendete – ein vertrauter Anblick bei den Formel-1-Autos der Scuderia zu dieser Zeit, aber wegweisend für die Straße.
Wie alle limitierten Flaggschiff-Supercars von Ferrari war der Enzo ein Prüfstand für fortschrittliche neue Technologien. Die meisten sollten bald ihren Weg in andere Ferraris finden. Er sollte auch für den FXX Pate stehen, den auf die Rennstrecke ausgerichteten Prototyp aus 2005 in limitierter Auflage (30 Exemplare wurden gebaut), der sich durch mehr V12-Leistung, verbesserte Aerodynamik, eine noch schnellere Schaltung und bessere Bremsen auszeichnete.
Und die daraus gewonnenen Lehren wiederum sollten jeden nachfolgenden Ferrari positiv beeinflussen.