Kevin M. Buckley
Foto: Alessandro Penso
Die FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft startet dieses Wochenende, doch die Fahrer von Ferrari stecken bereits seit Monaten in der Vorbereitung. So hat ihre Saison begonnen …
Langstreckenrennen sind anders. Ein Formel-1-Rennen dauert niemals länger als zwei Stunden, während das kürzeste Rennen im diesjährigen Kalender der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft ganze sechs Stunden in Anspruch nimmt. Andere Rennen dauern acht Stunden – und dann sind da natürlich die berühmten 24 Stunden von Le Mans, der Höhepunkt der Saison. Wenn man die Rennen der Formel 1 als wilde Sprints bezeichnet, dann sind die Langstreckenrennen der „Iron Man“ des Motorsports.
Eine andere Art des Fahrens erfordert eine andere Art des Trainings. Deshalb nahmen im vergangenen Dezember sechs offizielle Ferrari Competizioni GT-Piloten an einem einwöchigen Trainingslager in der Nähe von Rom teil. Auf ihrem herausfordernden täglichen Programm standen spezielle Trainingseinheiten, in denen die körperliche und mentale Verfassung der Fahrer nach der Winterpause (in der natürlich trotzdem weiter trainiert wird!) überprüft wurde und eine Vorbereitung auf die kommende Saison erfolgte.
„Gegen acht Uhr trafen wir uns zum gemeinsamen Frühstück. Dann hatten wir eine Trainingseinheit am Morgen und eine am Nachmittag“, erzählt FIA-Langstrecken Weltmeister Nicklas Nielsen. „Das war ganz schön knackig. Abends fielen wir immer todmüde ins Bett.“
Körperlich wurde im Trainingslager an Rudergeräten trainiert, doch auch Krafttraining an Maschinen und gemeinsames Radfahren auf der Rennstrecke standen an. Das mentale Training war nicht weniger wichtig: Hier wurden Seminare zu Ernährung, Entspannungstechniken, Schlaf und Übungen zur Verbesserung der Konzentration angeboten.
Sogar scheinbar Belangloses kam nicht zu kurz: So sprach Alessia Zecchini, Weltmeisterin im Freitauchen von 2019, mit den Fahrern über Atemtechniken und Kontrolle. In Vergangenheit gab es auch schon Seminare mit Boxern für die Fahrer, in denen an einer Verbesserung der Reflexe gearbeitet wurde, oder mit Neurologen für ein besseres Schlafverhalten – eine wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung der Jetlags, welche die vielen Reisen im internationalen GT-Rennsport mit sich bringen.
Diese Erfahrungen hatten einen nachhaltigen Effekt auf Nielsen, den aufstrebenden Fahrer aus Dänemark, zu dessen persönlicher Routine vor den Rennen nun auch Yoga-Atemübungen zählen. „Für mich war das wirklich eine große Hilfe, es beruhigt mich und hilft mir bei der Konzentration“, erklärt er.
Das Trainingslager wurde von Med-Ex organisiert, dem langjährigen exklusiven Medical Partner von Ferrari. Nachdem Med-Ex bereits viele Jahre den F1-Rennstall des Unternehmens betreut hatte, begann vor sieben Jahren auch eine enge Zusammenarbeit mit der Ferrari GT-Abteilung, sowohl mit den Fahrern als auch mit den Mitarbeitern. „Es ist uns eine Ehre, mit Ferrari zusammenzuarbeiten. Unsere Aufgabe ist es, die Sportler körperlich und mental bestmöglich vorzubereiten, um ihre Leistung auf das höchstmögliche Niveau zu bringen“, sagt Dr. Fred Fernando, der Med-Ex zusammen mit Dr. Alessandro Biffi gegründet hat.
Doch das Trainingslager hat noch einen weiteren, noch wichtigeren Aspekt. Wie Antonello Coletta, Leiter von Attività Sportive GT bei Ferrari, betont, war das Hauptziel, den Teamgeist zu stärken: „Es geht darum, die Gruppe zusammenzuschweißen. Teamarbeit geht vor Individualismus.“ Deshalb wurde gemeinsam Paddle-Tennis gespielt, um die Piloten aus ihren Komfortzonen zu locken. Das gemeinsame Radfahren wiederum half beim Aufbau von Beziehungen, was sehr wichtig ist, wenn man in Fahrerteams fährt.
Dieses Mantra wiederholt auch Davide Rigon, erfolgreicher GT-Pilot. Und er muss es wissen. In seiner 15-jährigen Karriere konnte der 34-jährige Rennfahrer fünf GT-Meisterschaften in verschiedenen Kategorien für sich entscheiden; aktuell zählt er zu den Formel-1-Simulator-Testfahrern in Maranello. „Es ist herrlich, bei diesen Zusammenkünften gemeinsam zu entspannen. Momente, in denen wir einmal nicht an Autos denken. Uns gegenseitig kennenlernen, jeder von uns mit seinem ganz eigenen Charakter“, sagt er.
„Wenn man ein Auto mit einem Teamkollegen teilt, ist gegenseitiges Vertrauen wichtig. Es ist unabdingbar, zu wissen, wie sich der andere in Stresssituationen verhält. Nur so kann man gut zusammenarbeiten, wenn man bei Rennen unter Druck steht.“
Dazu vertraut Rigon seinen Teamkollegen manchmal auch ein paar seiner Geheimnisse an. „Ungefähr einen Monat vor einem wichtigen 24-Stunden-Rennen beginne ich mit einem Nahrungsergänzungsmittel aus Heidelbeeren, das ich täglich einnehme“, verrät er. „Um meine Nachtsicht zu verbessern.“
Nichts wird dem Zufall überlassen. Um dem Sieg ein bisschen näher zu rücken.