Es gab Zeiten, in denen nur die offiziellen Piloten einen Ferrari-Einsitzer auf der Rennstrecke fahren durften. Das war ein Privileg, das nur wenigen Auserwählten vorbehalten war. Und sie wurden dafür sogar bezahlt. Seit 2013 können auch Ferrari-Kunden in die Emotionen eintauchen, die einen überkommen, wenn man in das enge Cockpit eines Formel-1-Wagens steigt. Das F1 Clienti-Programm erlaubt dem Eigentümer dieser traumhaften Fahrzeuge, sich wie ein offizieller Pilot der Scuderia Ferrari zu fühlen. Es bereitet seinen Wagen vor, prüft das Set-up, bringt ihn auf die Rennstrecke und gibt ihn in die Hände von Mechanikern, die ihr ganzes Leben lang in der Formel 1 gearbeitet und alle großen Champions der letzten Epoche betreut haben. Der Kunde in Rennanzug und Integralhelm hebt den Zeigefinger mit dem klassischen Signal für „Motor“ und der Traum beginnt.
Der frischgebackene Rennfahrer findet an seiner Seite die Gesichter, die einst Prost, Alesi, Mansell oder den legendären Schumacher umsorgten und die ihm ein paar Fahrgeheimnisse verraten, etwa die von Marc Gené, Olivier Beretta, Andrea Bertolini, Davide Rigon oder Giancarlo Fisichella. Einen Tag lang wie ein Gott leben, würde man in Hollywood sagen. Ein echter Ferrari-Fahrer sein. Fahrer eines Formel-1-Wagens. Die F1 Clienti-Werkstatt betreut Rennautos ab den Siebzigerjahren, die legendären Modelle von Niki Lauda, bis zum Jahr 2013, dem letzten Jahr vor dem Start der hybriden Power-Units, die für Fahrer, die keine Profis sind, viel zu kompliziert und zu gefährlich zu lenken wären. Die „älteren“ Modelle werden hingegen von der „Storiche“-Abteilung betreut. Allerdings sieht man sie seltener auf der Rennstrecke. Sie zeigen sich vor allem im Rahmen von Präsentationen wie beim Goodwood Festival of Speed.
Für diese besonderen Kunden organisiert Ferrari sechs bis sieben Veranstaltungen im Jahr. Von den Vereinigten Staaten (wo in Austin und Laguna Seca gefahren wird) bis nach Japan, mit Episoden auf außergewöhnlichen Rennstrecken wie Spa oder Estoril. Dabei handelt es sich nicht um Wettrennen. Vielmehr wird den Kunden die Möglichkeit gegeben, mit ihren Einsitzern auf echten Rennstrecken zu fahren, die von einem echten Rennteam vorbereitet wurden. Ein Team aus etwa fünfzig Personen, zu der Ingenieure, Motorspezialisten, Reifenmonteure und Mechaniker gehören, widmet sich den historischen Rennwagen des Cavallino Rampante. Siebzig davon stehen vor Ort in Maranello in den Räumen der Corse Clienti-Verwaltung. Sie sind ein regelrechtes Wander-Museum, eine Wundergrotte, in der auch das historische Archiv aller Formel-1-Wagen aufbewahrt wird. Technischer Koordinator ist Filippo Petrucci: „Alle Ferrari-Rennwagen wurden entweder im Rennen gefahren oder in den Tests verwendet.
Es gibt keine Rennwagen, die nur für den Verkauf gebaut wurden. All unsere Wagen besitzen eine Renn-Vergangenheit und haben die Gestione Sportiva durchlaufen, die sie am Ende ihres Lebenszyklus mit allen verbliebenen Ersatzteilen zum Verkauf stellt.“ Es ist schwer zu sagen, wie viel ein Formel-1-Wagen wert ist. Alles hängt von seinem Wettkampf-Stammbaum ab. Der F2001, mit dem Michael Schumacher die Weltmeisterschaft gewann, wurde bei RM Sotheby‘s in Manhattan um 7,5 Millionen Dollar versteigert - bis heute die höchste Summe für einen Formel-1-Wagen.
„Wir sehen auf der Rennstrecke echte Schmuckstücke“, erzählt Gianni Petterlini, der legendäre Attila, der lange Jahre Chefmechaniker der Formel 1 war, „aber einen Formel-1-Wagen zu fahren, ist einfacher, als man denken könnte. Wenn man einmal gelernt hat, den Start in den Griff zu bekommen, ist es nicht weiter kompliziert. Schwierig ist es, den Wagen an seine Grenzen zu bringen. In Fiorano mit 1’20” zu fahren, ist nicht unmöglich, aber diese Zeit um 10-20” zu unterbieten, ist dann doch eine Sache für echte Rennfahrer.
Und man darf auch nicht zu langsam fahren, weil ansonsten die Reifen abkühlen und das Fahrzeug wegrutscht.“ Unter den Kunden und Eigentümern von Formel-1-Wagen gibt es auch Rennfahrer, Leute, die auf der Piste gerne aufs Gas steigen. Sie kommen aus Schweden, wie Alexander West, der den F2008 von Felipe Massa fährt, aus den Vereinigten Staaten, wie Peter Mann, der sich mit dem F2008 von Räikkönen vergnügt, oder Peter Greenfield, der den Gianni Agnelli gewidmeten F2003 besitzt.
Aber auch aus Argentinien wie Luis Perez Companc, der Schumis F2004 lenkt, aus der Volksrepublik China, wie Rick Yan mit seinem F2004 von Barrichello oder aus Hongkong wie Eric Cheung, der außer einem FXXK und einem FXX auch einen F2012 von Alonso und einen F2007 von Räikkönen besitzt, also Herr über einen ganzen Privat-Rennstall ist.
Ende letzten Jahres erschien auch eine junge Frau aus Belgien, die glückliche Tochter von Stéphane Sertang. Marie Sarah fuhr den F2007 von Kimi Räikkönen, dem letzten, der eine Weltmeisterschaft gewann. Nicht schlecht. „Bevor wir unsere neuen Kunden auf der Piste fahren lassen, laden wir sie nach Fiorano ein“, erklären Petrucci und Petterlini. „Dort haben sie einen Tag lang Gelegenheit, zu lernen, mit ihrem Wagen auf einer Rennstrecke zu fahren.“
Ein bisschen mehr als eine Fahrschule. Sagen wir, eine Masterclass für versierte Fahrer. „Wir wählen immer ein einfaches Set-up, ziemlich hoch über dem Asphalt, das in den meisten Situationen passt“, erklärt Attila. Man könnte es als Barcelona-Set-up bezeichnen.“ Ein echter Allrounder unter den Set-ups. Denselben Ruf hatte einst die Farbe Grau. Grau geht immer. Aber während Grau elegant wird, wenn man es auf gewisse Weise trägt, bleibt ein Ferrari stets faszinierend. Ganz gleich, auf welche Weise man ihn fährt.