Vom Paradigmenwechsel in der Philosophie der Aerodynamik bis hin zu den großen Ferraris der Vergangenheit, die sein Team inspiriert haben, beantwortet der Chief Design Officer von Ferrari unsere Fragen zur neuen Mittelmotor-Berlinetta
Flavio Manzoni: Das Design des 296 GTB definiert die Identität der Zweisitzer-Berlinetta mit Heck-Mittelmotor neu. Ihre Proportionen sind völlig anders: Der Radstand wurde verkürzt, um die Wendigkeit des Fahrzeugs hervorzuheben. So konnten wir dem Auto eine extrem leichte, schlanke und kompakte Architektur geben. Dadurch erhält der Wagen eine moderne, originelle Ausstrahlung, die den sportlichen Charakter sofort ins Auge springen lässt.
"Das Cockpit folgt der gleichen puren, sportlichen Ästhetik wie die Karosserie und ist – natürlich – um den Fahrer herum gestaltet"
TOFM: Hat einer der Ferraris aus der Vergangenheit Sie und Ihr Team im Ferrari Centro Stile besonders inspiriert?
FM: (Lacht) Das tun sie immer alle! Aber beim 296 GTB verweisen die sauberen Formen und die ineinander greifenden Volumen auf die Ferraris der 1960er Jahre, die vor allem durch Einfachheit und Funktionalität bestochen haben.
Vor allem der 250 LM von 1963 hat die Designer durch Elemente wie die skulpturale Optik der Karosserie, das Design der B-Säule, die ungewöhnliche Komposition der Kotflügel, in die die Lufteinlässe eingelassen sind, und das edel proportionierte Kamm-Heck inspiriert.
Ein weiteres Highlight ist die Windschutzscheibe im Stil eines Visiers, die sich bis zu den Seitenfenstern erstreckt und die wir bereits bei mehreren limitierten Ferraris, darunter der J50, und Unikaten wie dem P80/C präsentiert haben. Dieses Wraparound-Design an der Front verbindet sich organisch mit dem Flying Buttress-Motiv am Heck und arbeitet mit einer transparenten Motorabdeckung zusammen, die den neuen Motor zur Schau stellt.
Die Inspiration für den 296 GTB kam von so weit her wie der J50, der 250 LM und der einmalige P80/C
TOFM: Es gibt keine offensichtlichen Spoiler oder Kotflügel – welche aerodynamischen Innovationen können wir nicht sehen?
Mit dem 296 GTB wird, was unsere Aerodynamik-Entscheidungen anbelangt, ein scharfer Bruch mit der Vergangenheit vollzogen. Das aktive Aerodynamik-Paradigma, das ab dem 458 Speciale galt, wurde auf den Kopf gestellt.
Bei diesem Auto wird zum ersten Mal eine aktive Vorrichtung nicht zur Steuerung des Luftwiderstands, sondern zur Erzeugung von zusätzlichem Abtrieb eingesetzt. Mit dem von LaFerrari inspirierten aktiven Spoiler, der in die Heckstoßstange integriert ist, erzeugen wir bei Bedarf zusätzlich hohen Abtrieb.
In der High-Downforce-Konfiguration gibt es dank des aktiven Spoilers zusätzlich 100 kg Abtrieb. Die dynamischen Regelsysteme des Fahrzeugs überwachen ständig die Beschleunigungswerte, dann wird der Spoiler aus dem fest montierten Teil der Karosserie ausgefahren. Das verbessert die Kontrolle des Fahrers in Hochleistungs-Fahrsituationen und minimiert zudem den Bremsweg.
"Die Front des Autos ist äußerst clean und minimalistisch. Die neuen Scheinwerfer sind mit den Lufteinlässen für die Bremsen verbunden"
TOFM: In den Scheinwerfern befindet sich ein dezent gestalteter Lufteinlass - wozu dient der?
FM: Die Front des Fahrzeugs ist extrem clean und minimalistisch. Die neuen Scheinwerfer fallen besonders ins Auge, weil sie eine moderne Interpretation der früheren „Teardrop“-Scheinwerfer sind. In diesem Fall haben wir sie mit der Luftansaugung für die Bremsen gepaart.
Das Bremskühlsystem wurde rund um die beim SF90 Stradale eingeführten Aero-Bremssättel entwickelt und diese verfügen über Lüftungskanäle, die in ihre Gussteile integriert sind. Dieses Konzept der Bremsenkühlung erfordert einen speziellen Kanal, um die kühle Luft richtig zu leiten. Beim 296 GTB wurde der Einlass in das Scheinwerferdesign integriert.
Diese Lösung macht einen Lufteinlass im Unterboden überflüssig und ermöglichte es, das Design des Unterbodens noch extremer zu gestalten. Der dadurch gewonnene Platz wurde genutzt, um den flachen Unterboden in diesem Bereich zu verbreitern, was die Abtriebsfläche vergrößerte, und um einen zusätzlichen Vortexgenerator mit einem innovativen ‚L‘-Profil hinzuzufügen.
TOFM: Wie sind Sie an die Innenausstattung des 296 GTB herangegangen?
FM: Das Cockpit folgt der gleichen puren, sportlichen Ästhetik wie die Karosserie und ist – natürlich – um den Fahrer herum gestaltet. Es verfügt über die komplette digitale Schnittstelle, die wir erstmals beim SF90 Stradale vorgestellt haben. Doch anstatt diese Technologie besonders zu betonen, wollten wir sie beim 296 GTB auf raffinierte Art und Weise verkleiden.
Die Architektur des Armaturenbretts schafft eine klar definierte, zum Fahrer hin geneigte Instrumententafel. Es ist aus einem tiefen Spalt in der Armaturenbrettverkleidung heraus gearbeitet, aus dem es zusammen mit dem Lenkrad und allen digitalen Instrumenten hervortritt. Das Ergebnis ist eine schnörkellose und minimalistische Ästhetik. Es ist auf kraftvolle Weise elegant und spiegelt perfekt das Design des Exterieurs wider.